In diesem Artikel lade ich dich zu einem etwas anderen Start ins neue Jahr ein: statt dir neue Ziele zu setzen, also Neues in dein Leben zu bringen, lade ich dich ein, Altes, was dir nicht mehr dient, loszulassen. Und dann in Ruhe zu erspüren, ob es etwas Neues braucht, um das zu ersetzen – und was dieses Neue sein könnte.

Man könnte auch sagen: es geht um Mind-Decluttering. Die Kondo-Methode für deine Gedanken: bei allem, was dir keine Freude mehr bringt, kannst du dich bedanken und es dann gehen lassen.

Wir alle schleppen in allen Lebensbereichen „Wahrheiten“/„So muss das sein“/„So ist das halt“/“So bin ich halt“-Gedanken mit uns herum. Manche davon sind hilfreiche Weisheiten, über Generationen in unserer Familie oder Kultur weitergegeben, die uns durchs Leben helfen. Andere aber behindern uns in unserem Fortkommen oder schlicht dabei, ein erfülltes und glückliches (Liebes-)Leben zu führen. Sie sind das, was ich hier Mythen nenne.

Gerade im Bereich Sexualität überwiegen bei vielen Menschen die Mythen, statt die hilfreichen Weisheiten. Das ist auch kein Wunder, wenn du dir anschaust, wie Sexualität die letzten 2000 Jahre gesehen und behandelt wurde. Über dieses Thema allein kann man Bücher füllen, es soll hier aber nicht der Fokus sein.

Jedenfalls lernt kaum eine*r von uns zu Hause einen realistischen, gesunden Umgang mit der eigenen Sexualität. Denn unsere Eltern wussten es auch nicht besser. Stattdessen spüren wir oft, dass Sex mit Scham und Leistungsdruck verbunden ist.

Lass uns also gemeinsam einen Blick werfen auf 20 weit verbreitete Mythen, die mir in Coachings immer wieder begegnen.

 

1. Sex muss von allein funktionieren.

Der Hintergrund dieses Mythos geht meist so: der Mensch wird mit einem Sexualtrieb geboren, also weiß er auch automatisch, wie Sex geht. Nun, der Mensch wird auch mit Hunger geboren. Und von klein an lernen wir Schritt für Schritt, wie wir essen und Nahrung zubereiten. Und wenn wir als Erwachsene nicht zufrieden sind mit unserer Ernährung, oder schlicht mal Lust auf etwas Neues haben, tauschen wir uns mit Freunden aus, schauen Kochsendungen, gehen zu Ernährungsberatern oder machen Kochkurse.

Und genau so ein lebenslanges Lernen sollte 2020 auch im Bereich Sexualität selbstverständlich sein (zumal wir da am Anfang weit weniger Bildung bekommen als zu unserer Ernährung). Auch sich Hilfe zu holen, wenn ihr zu zweit nicht weiterkommt, darf so selbstverständlich sein, wie der Gang zum Ernährungs- oder Steuerberater*in.  Und es ist allemal freudvoller als das Ende einer Beziehung oder der spätere Gang zum Scheidungsanwalt*in.

 

2. Ich habe keinen Partner*in. Also kann ich keinen Sex haben.

Auch ohne Partner kannst du Sex haben. Mit einem Menschen haben, den du liebst: mit dir selbst. Auch Solosex kann höchst erfüllend, befriedigend, ja sogar spirituell sein. Und ist allemal besser als schlechter Sex mit einem Partner. Zudem lernst du beim Solosex dich und deinen Körper viel besser kennen, was dir auch helfen wird, wenn du wieder Sex mit anderen Menschen hast. Und falls Selbstliebe noch ein fernes, unbekanntes Land für dich ist, hilft dir Solosex auch das zu entdecken.

 

3. Über Sex spricht man nicht – mit dem Partner

Die „Über Sex spricht man nicht“-Mythen sind gekoppelt an Jahrtausende der Scham und Tabuisierung von Sex. Wenn wir es allerdings mal nüchtern betrachten, sehen wir folgendes: beim Paarsex kommen 2 Menschen mit unterschiedlichen Lebensgeschichten und Bedürfnissen zusammen und wollen gemeinsam genießen. Woher sollen sie wissen, was dem Anderen gefällt oder was sie tun wollen, ohne darüber zu sprechen?

Ja, Körpersprache kann auch viel sagen und manchmal hat man auch das Gefühl, dass es sowieso ein wundervoller gemeinsamer Fluss ist, und es gar nichts zu sagen gäbe. Gerade bei anfänglicher Verliebtheit.

Doch selbst dann gäbe es einiges zu besprechen, was den Sex noch angenehmer machen könnte: wie verhüten wir, wie schützen wir uns vor Krankheiten, was magst du, was mag ich – generell und jetzt gerade in diesem Moment? Im Laufe der Beziehung entwickelt ihr Euch auch als Mensch weiter und möchtet vielleicht mal etwas verändern am Sex.

Das erfordert dann nicht selten einigen Mut, es aus- und anzusprechen (dazu später noch mehr). Und es lohnt sich: du gehst in dich und findest erst einmal heraus, was du eigentlich willst. Du stehst zu dir und deinen Bedürfnissen. Du gibst deinem Partner die Möglichkeit, diese zu kennen und zu entscheiden, ob er*sie sie erfüllen möchte. Und erwartest nicht mehr, dass man dir wie einer Prinzessin die Wünsche von den Augen abliest.

Manche dieser Gespräche führt man am besten außerhalb der sexuellen Begegnung, andere können währenddessen stattfinden. Mit neutraler Sprache oder Dirty Talk. Spontan oder z.B. in der Struktur des 3-Minuten-Spiels oder anderen Sex Talk-Übungen und Spielen.

Manchmal höre ich auch die Sorge, man könne auch alles totreden. Ja, kann man – wenn man nicht darauf auf ist, den anderen zu verstehen, sondern ihn durch geschickte Gesprächsführung zu zermürben. Das dürfte dann aber nicht nur die Lust, sondern auch in viel Anderes in der Beziehung abtöten.

 

 4. Über Sex spricht man nicht – mit anderen Menschen

Stell dir vor, du hättest in deinem ganzen Leben noch nie mit jemandem übers Wetter gesprochen. Es gäbe keinen Wetterbericht im Fernsehen und stattdessen nur Filme und Werbung an sonnigen Stränden. Wie würdest du dich fühlen, wenn du aufstehst und in einen grauen, deutschen Himmel schaust? Vermutlich ziemlich mies. Und du würdest denken, dass du der einzige Mensch auf dieser Welt bist, der sich mit diesem grauen Himmel quälen muss.

Ähnliches passiert, wenn du all deine Sex-Infos aus Hochglanzmagazinen, Filmen, Pornos und Werbung beziehst. Dann kommt schnell die Vermutung auf, dass bei allen anderen alles leidenschaftlich, rosig, problemlos läuft. Dass alle beim Sex innerhalb von 5 Minuten kommen, nur du nicht. Dass alle einen perfekten Körper haben und sich darin wohl fühlen, nur du nicht.

Allerdings: die meisten Menschen sind von diesem Traumzustand weit entfernt. Auch Frauen mit vermeintlich perfekten Körpern finden diese selbst gar nicht perfekt, in den meisten Beziehungen nimmt die Leidenschaft ab und in keinem Schlafzimmer dieser Welt läuft immer alles problemlos. Das erfahren wir allerdings erst, wenn wir mit Freund*innen über Sex sprechen, oder ehrliche Informationen von anderswoher bekommen.

 

 5. Sex muss spontan passieren.

In den allermeisten Langzeitbeziehungen nimmt früher oder später die Sex-Häufigkeit ab. Die Partner fallen nicht mehr wie am Anfang wild und ständig übereinander her.  Dann kommen noch Alltagsstress und vielleicht Kinder hinzu und eh man sich versieht, hat man monatelang keinen Sex mehr.

Wenn sich beide damit wohlfühlen und die Beziehung nicht leidet, ist das natürlich kein Problem. Oft fehlt aber zumindest einem Partner etwas. Und nicht selten höre ich dann die Sehnsucht nach der wundervollen Anfangszeit. Allerdings: die wird so nie wiederkommen. Ja, es gibt manchmal Wellen der Leidenschaft, die plötzlich zurückkehren.

Wenn du aber darauf nicht hoffen und warten möchtest, kannst du deine Einstellung zum Sex überdenken. Wer bitte sagt denn, dass alles immer so bleiben muss wie am Anfang? Und dass Sex nur gut ist, wenn er spontan entsteht?

Wenn du deine Chancen auf Nähe und Sex erhöhen willst, kannst du z.B. mit deinem Partner ein wöchentliches Sex-Date vereinbaren. Blockt euch den Termin im Kalender, sorgt dafür, dass ihr ungestört seid, und dann nehmt Euch die Zeit füreinander – ohne Netflix & Co.

Ihr müsst auch dann nicht sofort leidenschaftlich übereinander herfallen. Lust entsteht oft erst beim Tun. Und wie weit ihr dabei gehen wollt, entscheidet ihr einfach von Moment zu Moment. Ein Sex-Date ist kein Zwang zum Geschlechtsverkehr, sondern ein Raum der Möglichkeiten.

6. Sex = Penetration. Alles Andere ist Vorspiel.

Schon als Teenager haben wir dank Bravo und Pornos diesen Mythos verinnerlicht: Vorspiel ist all das, bei dem der Penis nicht eingeführt wird, Penis-in-Vagina (oder Anus) ist der eigentliche Sex. Teilweise führt dieser Mythos sogar zur Frage, wie denn nun lesbische Paare eigentlich Sex haben.

Wäre Penis-in-Vagina im echten Leben der unbestrittene Höhepunkt jedes (heterosexuellen) Sexualaktes, könnte man das vielleicht noch so stehen lassen. Allerdings: viele Frauen können Penetrationssex wenig abgewinnen. Nicht selten höre ich, dass sie darauf auch gern ganz verzichten könnten. Auch viele Studien zeigen, dass Frauen selten durch reinen Geschlechtsverkehr kommen (auch wenn natürlich Orgasmen kein alleiniger Indikator für erfüllenden Sex sind). Noch dazu macht der „Penetrationszwang“ allen Beteiligten einen Leistungsdruck, der einfach unnötig ist.

Was also tun? Das hängt davon ab, was Euch gefällt – oder was ihr mal ausprobieren möchtet. Die Möglichkeiten sind nahezu endlos. Oralsex, Handjobs, voreinander masturbieren, BDSM-Spiele aller Couleur, Rollenspiele, Massagen, Sextoys, Brustsex, spannende Orte, andere Menschen, …

Was für euch erfüllender Sex ist, bestimmt ihr ganz allein. Genauso wie die Reihenfolge dessen, was dabei passiert.

 

7. Sex geht nur, wenn Penis und Vagina „funktionieren“.

Ein häufiges Thema in Sexualtherapien sind „sexuelle Funktionsstörungen“. Also z.B. Schmerzen beim Sex, Vaginismus (Scheidenkrämpfe), Erektionsschwierigkeiten, vorzeitige Ejakulation. Diesen Beispielen gemein ist, dass die Genitalien nicht so „funktionieren“ wie man das für Fortpflanzungssex erwarten würde.

Allerdings: wie viel von dem Sex, den wir haben, zielt heute tatsächlich noch auf Fortpflanzung ab? Meist haben wir Sex aus anderen Gründen, z.B. Verbundenheit, Genuss u.v.m. Und das kann man auch wunderbar auf anderen Wegen erleben (s.o.).

Manchmal sind Menschen, deren Genitalien anders funktionieren, dabei auch sehr erfinderisch und erfahren – so dass der Sex umso erfüllender werden kann. Warum sollte man sich da also damit stressen, dass die Vagina offen und der Penis lange hart sein muss?

 

8. Für guten Sex muss man gelenkig sein.

Kennst du Schlagzeilen wie „Diese 10 Sex-Stellungen musst du jetzt probieren!“? Ganz ehrlich: schon vor, aber noch mehr seit meiner Tätigkeit als Sexualtherapeutin könnte ich bei sowas einfach nur k***en.

In solchen Artikeln stehen Dinge wie: „Die Auster. Die Frau verschränkt ihre Beine hinter dem Kopf, der Mann kann so besonders tief in sie eindringen“ (Cosmopolitan) oderDer Brückenpfeiler: Der Mann legt sich auf den Rücken und stemmt dann seinen Rumpf mit Händen und Beinen nach oben“ (RTL).

Aha. Kann man schon machen, muss man aber nicht. Bzw.: die meisten können es halt nicht. Oft auch nicht nach 10 Jahren Yoga.  Und warum sollte man sich überhaupt Dehnungsschmerzen, Muskelzittern und vielleicht auch Schmerzen wegen zu tiefer Penetration aussetzen, wenn man auch einfach genießen und sich verbunden fühlen könnte?

Ich vermute, dass ich genau aus diesen Gründen auf die Frage „Was gefällt Ihnen denn beim Sex?“ eigentlich nie solche Stellungen höre. Sondern immer die Klassiker: Missionar, Reiten. Vielleicht mal noch von hinten oder Löffelchen. Aber noch nie die Auster. Auch nicht bei Paaren, die schon das Kamasutra durchprobiert haben.

 

9. Für guten Sex muss man experimentierfreudig sein.

Wenn man sich auf Pornowebsites, Datingportalen und in Berliner Workshopbeschreibungen umsieht, bekommt man schnell einen Überblick, wie viele Spielarten von Sex es gibt. Und im aktuellen „sexpositiv“-Hype entsteht schnell die Vermutung, das auch alles mitmachen zu müssen. Denn wollen wir nicht alle ein*e möglichst gute*r Liebhaber*in sein?

Nun ist das mit dem Ausprobieren so eine Sache: Neues probieren erweitert den Horizont, sorgt für Aufregung und reduziert Langeweile und kann euer Sexleben abwechslungsreicher machen. Und falls es Euch doch nicht gefällt, könnt ihr bestenfalls gemeinsam lachen.

Doch was ist, wenn du merkst, dass sich beim Gedanken an einen Peitschenkurs, Natursekt oder Anilingus alles in dir zusammenzieht? Wenn da nicht mal ein Funken von Neugier und Experimentierfreude ist, sondern eher Ekel und Entsetzen?

Dann ist es am besten, dies offen anzusprechen – und dich nicht auf Sex einzulassen, von dem du schon vorher ahnst, dass du ihn furchtbar finden wirst.

Vielleicht findet ihr gemeinsam erste, kleinere Schritte, die sich für Euch beide gut anfühlen, vielleicht ist das Thema auch erst mal komplett vom Tisch, vielleicht taucht es später mal wieder auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich beim Tun deine starke Abneigung in wilde Lust und guten Sex verwandelt, ist jedenfalls verschwindend gering.

Und ein großer Vorteil unseres digitalen Lebens ist ja auch: wer vor allem auf Natursekt oder sonst etwas steht, findet dafür heute sehr leicht Spielgefährten. Es muss also gar nicht nicht Jede*r alles wollen.

 

10. Wenn ich Nein sage, könnte ich meinen Partner verlieren.

Wenn ich mit Klientinnen darüber spreche, dem Partner offen zu sagen, wenn sie keinen Sex wollen, oder was sie beim Sex nicht wollen, kommt oft erst einmal viel Unsicherheit auf. Zum Einen haben wir als Frauen oft gelernt, gefallen zu wollen und „brav“ zu sein.

Zum Anderen aber kommt eine Urangst hoch: „Was, wenn ich meinen Partner dadurch verliere?“ Die meisten kennen diese Angst, teilweise fühlt sie sich (durch frühere Erfahrungen bedingt) an wie eine Frage von Leben und Tod.

Ja: Die Möglichkeit, dass du deine*n Partner*in verlierst, besteht. Immer. Egal, was du sagst und tust. Sei es durch Verlassen werden oder den Tod eines Partners: irgendwann werden wir uns alle trennen.

Wenn du allerdings nicht zu dir und deinen Bedürfnissen stehst, besteht noch eine weitere Gefahr: nämlich, dass du die Verbindung zu dir selbst verlierst. Dass du ein Leben lebst, dass du so nie wolltest. Dass du ein Mensch wirst, der du nie sein wolltest.

Und die Gefahr, dass dein Partner nie den wunderbaren Menschen kennen lernt, der du eigentlich bist oder werden wolltest.

Zum Thema Nein sagen könnte ich noch vieles schreiben, was hier keinen Platz hat. Ein Satz aber darf bei diesem Thema nicht fehlen:

„Nur wenn du ganz Ja zu deinen Neins sagen kannst, kannst du auch ganz Ja sagen.“ (Unbekannt).

11. Wer A sagt, muss auch B sagen.

Eine weitere Angst, die sich in der Sexualtherapie oft zeigt, ist diese: „Ich kann mich schwer auf Intimität einlassen, weil es dann kein zurück mehr gibt.“ Will heißen: fangen wir erst einmal an mit Küssen und Streicheln, ist doch klar, dass wir dann Geschlechtsverkehr haben müssen (oder dass zumindest eine*r diesen dann erwartet). Um das zu vermeiden, lasse ich mich lieber gar nicht erst auf Zärtlichkeiten ein.

Ja, nach dem Schema Küssen => Fummeln => Ausziehen => Manueller/Oralsex => Geschlechtsverkehr (=> Orgasmus) laufen vermutlich die meisten sexuellen Begegnungen ab. Auch in Liebesfilmen wird uns diese Abfolge wieder und wieder eingetrichtert.

Ich habe mich an diesen Stellen schon als Teenager gefragt, warum das immer so klar abläuft. Wenn z.B. zwei drauf und dran sind, fremdzugehen: Warum führt dann ein Kuss sofort zu Sex – und keiner denkt zwischendrin noch mal darüber nach, ob das jetzt eigentlich eine gute Idee ist?

Die gute Nachricht ist: wir können uns entscheiden, das anders zu leben.

Vielleicht magst du an manchen Tagen zwar nackt kuscheln, aber keinen Geschlechtsverkehr haben. Vielleicht magst du mit einer neuen Bekanntschaft erst mal nur knutschen, statt gleich übereinander herzufallen. Vielleicht hast du mal auf etwas ganz Anderes Lust. Dann sag es!

Meine Empfehlung: besprich in einer ruhigen Minute mit deinem*r Partner*in, dass du gern aus diesem Automatismus aussteigen willst und ihr beide jederzeit entscheiden könnt, was ihr heute gemeinsam tun wollt. Es wird euch vermutlich mehr Stunden der Zweisamkeit bringen. Die Hemmschwelle, in der Hitze des Gefechts zu sagen „Danke, das reicht mir für heute.“ sinkt. Und der*die Partner*in wird davon weniger überrascht, schockiert oder verletzt sein.

Auch einer neuen Bekanntschaft kannst du auch schon vor dem nach Hause gehen sagen, dass du heute erst mal nur kuscheln, aber keinen Sex möchtest. Erfordert das Mut? Klar! Lernst du dadurch die Bekanntschaft noch besser kennen? Auch das.

Ich plädiere also auch hier für mehr Mutausbrüche.

 

12. Männer haben mehr Lust auf Sex als Frauen.

Dass spontan entstandene Lust überbewertet wird, weißt du schon aus Mythos 5. Was aber ist dran an der gängigen Vorstellung, dass Männer eigentlich ständig könnten und Frauen sich ständig zieren?

Dazu ist zunächst einmal wichtig zu wissen: sexuelle Lust/Verlangen ist kein konstantes Persönlichkeitsmerkmal. Sie ist von vielen Faktoren abhängig und variiert im Laufe deines Lebens. Beeinflusst wird sie z.B. durch: Stress, Hormone, Medikamente, Drogen, Krankheiten, Geburten, Selbstsicherheit. Im Bevölkerungsdurchschnitt erreicht die Lust der Männer mit 20 ihren Höhepunkt und nimmt ab 30 wieder ab. Bei den Frauen nimmt die Lust ab 30 zu.

Aber auch, wenn man all diese Einflussfaktoren außen vorlassen und Lust als ein konstantes Persönlichkeitsmerkmal sehen würde, wäre die pauschale Aussage „Männer haben mehr Lust als Frauen“ falsch.

Dieses Prinzip gilt für alle Geschlechtsstereotype (Männer sind so, Frauen so). Die betrachten nämlich nur den Durchschnitt, nicht aber die tatsächliche Verteilung in der Bevölkerung. Die tatsächliche Ausprägung der (biologischen, psychologischen) Merkmale von Männern und Frauen ist innerhalb eines Geschlechts breit verteilt, so dass sich folgendes Bild (mit je nach Merkmal verschieden großen Überlappungen) ergibt:

Quelle: Bischof, Norbert (1980): Biologie als Schicksal? Zur Naturgeschichte der Geschlechterrollendifferenzierung. In: Bischof, Norbert; Preuschoft, H. (Hrsg.): Geschlechtsunterschiede, Entstehung und Entwicklung. Mann und Frau in biologischer Sicht. München: Beck. S. 40

Nehmen wir einmal an, die Kurven würde die Lust (Merkmal x) von Männern und Frauen anzeigen: Dann gäbe es viele Frauen, die weniger Lust haben als viele Männer. Aber eben auch das Gegenteil: Frauen, die mehr Lust auf Sex haben als manche Männer. Und Männer und Frauen, die in etwa gleich viel Lust haben.

Und was für dich wichtig ist, ist die Konstellation in deiner Beziehung, nicht der Durchschnitt der Bevölkerung. Sprich: wie viel Lust hast du – und wie viel Lust dein*e Partner*in? Und da erlebe ich nicht selten, dass Frauen mehr Lust auf Sex haben als ihr Mann und sich damit an mich wenden.

Einige Tipps, wie du damit umgehen kannst, wenn ihr unterschiedlich viel Lust auf Sex habt, gebe ich dir in diesem Video.

Anmerkung: Dass ich keine Aussagen zu anderen Geschlechtern oder homosexuellen Beziehungen mache liegt schlicht daran, dass 98 % meiner Klienten cis und hetero sind, nicht daran, dass ich andere Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen weniger wertschätze. Auch die zugrunde gelegten Genderforschungen differenzieren nur zwischen Mann und Frau.

 

13. Bei gutem Sex kommen beide. Am besten gleichzeitig.

Kaum ein Stress/Leistungsdruck wiegt beim Sex so schwer, wie der, zum Orgasmus zu kommen. Nicht selten hetzt man selbst dem Orgasmus hinterher, und fühlt sich auch noch dafür verantwortlich, den*die Partner*in zum Orgasmus zu bringen. Und aus Liebesfilmen „wissen“ wir: am besten ist es, wenn beide gleichzeitig kommen.

Mögliche Antworten auf diesen Leistungsdruck? Weniger Lust auf Sex, vorgetäuschte Orgasmen (bei allen Geschlechtern), mechanisches Abarbeiten von Routinen, Schmerzen beim Sex, Erektionsstörungen, Unzufriedenheit u.v.m.

Allerdings: Sex kann auch ohne Orgasmen sehr befriedigend sein. Er kann uns Nähe, Zärtlichkeit, Geborgenheit, Nervenkitzel, Bestätigung u.v.m. geben – auch ohne, dass jemand kommt. Vielleicht kommst du noch nicht zum Orgasmus, genießt aber trotzdem die Erregung und Nähe. Vielleicht hast du an manchen Tagen Lust, zu kommen, an anderen aber nicht. Dann gebt euch doch diese Freiheit und gestaltet euren Sex so, wie es sich in diesem Moment stimmig anfühlt, statt einem fremden Ideal hinterherzuhecheln.

Und zum gemeinsamen Kommen: das gelingt wohl bei den wenigsten Sexakten. Und das ist auch völlig OK. Hast du schon mal deine*m Partner*in im Moment des Orgasmus in seiner*ihrer ganzen Lust tief in die Augen geschaut, oder ihn*sie angeschaut und ganz gespürt? Auch das kann ein wundervolles Erlebnis sein – mindestens so schön und lustvoll, wie gemeinsam zu kommen.

 

14. Du musst dich entspannen, um zum Orgasmus zu kommen.

Wenn du eine Frau bist: wie oft hast du in deinem Leben schon gehört „Entspann dich doch mal!“ – und wie oft haben das die Männer in deiner Umgebung bereits gehört?

Glaubt man allen wohlwollenden Ratschlägen unserer Zeit, so scheint Entspannung die meisten Probleme einer Frau zu „lösen“:

  • Du ärgerst dich über einen Kollegen? Entspann dich doch mal!
  • Du wirst nicht schwanger? Entspann dich doch mal!
  • Du fühlst dich überfordert damit, einen Vollzeitjob, 3 Kinder, Haustiere und täglichen Sex unter einen Hut zu kriegen? Entspann dich doch mal!
  • Du kommst nicht zum Orgasmus? Entspann dich doch mal!

All das passt natürlich gut zum Bild der lieben, sozialen und fürsorglichen Frau, das immer noch in vielen Köpfen herrscht.

Wenn es um den Orgasmus geht, ist der Entspannungs-Ratschlag auch gern verbunden mit: du musst dich einfach fallen lassen und aufhören zu denken.

Aha. Herzlichen Dank.

Falls du solche Ratschläge gern verteilst: Setz dich doch mal bitte 10 Minuten hin und denke NICHTS. Der Blog wartet solang auf dich.

Und, hat’s geklappt?

Falls du nicht sowieso seit Jahrzehnten täglich meditierst, vermutlich nicht. Denn unser Kopf ist dafür geschaffen, zu denken. Er wird dir immer wieder Gedanken präsentieren – egal wie sehr du dich bemühst, nicht zu denken.

Meditationstechniken, in denen man sich nur im „reinen Gewahrsein“ befindet sind daher deutlich schwerer (und bei Laien unbeliebter) als z.B. solche, in denen man einer angenehmen Stimme zuhört oder sich auf den Atem konzentriert. Denn dann hat der Kopf etwas zu tun. Und wenn doch ein Gedanke dazwischenfunkt (was ziemlich sicher passieren wird), kannst du zur Stimme oder zu deinem Atem zurückkommen.

Daher könntest du statt „Aufhören zu denken“ mal Folgendes probieren: Atme in dein Becken und fühle, was dort passiert. Wie fühlt sich die Berührung an, die Küsse, vielleicht ein Penis in dir? Fühlst du dich gerade offen, entspannt oder angespannt? Ist es warm oder kalt? Ruhig oder kribbelig? Was spürst du noch? (Wunderbar üben kannst du das mit der Solosex-Meditation.)

Und wenn andere Gedanken aufkommen und du das bemerkst: völlig normal. Bring deine Aufmerksamkeit einfach zurück in dein Becken und weiter geht’s.

Und wie ist es rein körperlich: Hilft dir Entspannung, um zum Orgasmus zu kommen?

Die meisten Menschen orgasmieren heute, indem sie die Muskeln in Bauch, Becken & Beinen stark anspannen und sich dann im Moment des Orgasmus (reflexartig) entspannen. Wenn das bei dir der Fall ist und du damit zufrieden bist, ist das wunderbar.

Für manche Menschen sind solche Orgasmen allerdings wenig befriedigend, da sie den Orgasmus nur kurz und lokal spüren, eher wie ein Niesen als etwas Allumfassend-Erfüllendes.

Daher gibt es den Gegentrend, sich zu entspannen, nirgendwo hinzuwollen, langsamer und sanfter zu werden und feiner in sich reinzuspüren. Allerdings: wenn du deinen Beckenboden dauerhaft vollständig entspannst, sinkt eher die Erregung. Das kann dann immer noch eine wunderbare Erfahrung sein und Nähe schaffen, aber etwas, das sich orgastisch anfühlt, erreichen dabei wohl die wenigsten.

Es bleibt also: die Kombination von Anspannung und Entspannung. Die erreichst du am besten, indem du dein Becken beim Sex bewegst, so dass sich diverse Muskelgruppen abwechselnd an- und entspannen. So kannst du Zustände langanhaltender, freifließender Erregung erreichen – und vielleicht sogar Orgasmen, die deinen ganzen Körper durchströmen.

15. Vaginale Orgasmen sind besser als klitorale.

 

Diesen Mythos verdanken wir Sigmund Freud, für den ja Frauen in vielen Punkten ein Buch mit 7 Siegeln waren. Er postulierte, dass der reife Orgasmus einer Frau durch vaginale Penetration ausgelöst werde, der klitorale Orgasmus dagegen unreif sei.

Aus heutiger Sicht erscheint diese Einteilung in reife und unreife Orgasmen wenig sinnvoll – und wie ein Zwang zum klassischen Penetrationssex. Warum sollten wir nicht alle Genusspotenziale, die unser Körper bietet, auch nutzen?

Zudem wusste Freud damals noch nicht, dass die Klitoris viel mehr ist als die kleine Perle, die wir sehen. Auch der Vaginaeingang ist von den Klitorisschenkeln umgeben. Eine klare Einteilung in klitorale und vaginale Orgasmen ist also schwer bis geradezu unmöglich. Auch im Erleben des Orgasmus merken viele Frauen kaum Unterschiede zwischen vaginalen und klitoralen Orgasmen.

Manche glauben mittlerweile die Gegenthese, dass es nur klitorale und keine vaginalen Orgasmen gäbe. Auch das ist allerdings nicht richtig. Denn auch in tieferen Regionen der Vagina, oder an der Zervix, können Orgasmen ausgelöst werden. Richtig ist allerdings: die meisten Frauen (viele Studien sprechen von 80%) kommen nicht durch reine Penetration, sondern dank Stimulation der Klitorisperle zum Orgasmus.

Leider gibt es auch heute noch viele Frauen, die sich entweder damit rühmen, vaginale Orgasmen zu beherrschen oder sich ärgern, diese nicht zu beherrschen. Die Fähigkeit, Sex zu genießen, hängt allerdings nicht davon ab, welche oder wie viele Orgasmusarten du beherrschst.

 

16. Jungfräulichkeit ist ein hohes Gut – und man erkennt sie an einem intakten Jungfernhäutchen.

Bis heute glauben die meisten Menschen, dass Frauen mit einem Jungfernhäutchen geboren werden, das beim ersten Geschlechtsverkehr reißt und blutet. Nicht wenige Mädchen haben daher Angst, mit Tampons, beim Sport, bei der Selbstbefriedigung – und eben beim ersten Mal – dieses vermeintliche Jungfernhäutchen zu verletzen.

Fakt ist: am Vaginaeingang befindet sich ein Schleimhautkranz, der ein Leben lang vorhanden und bei jeder Frau* unterschiedlich geformt ist. Diese Schleimhaut ist weich und dehnbar.

Wie wir sie nennen wollen – vaginale/vulvinale Korona, Schleimhautkranz/-saum, Hymen – daran scheiden sich noch die Geister. Auch die biologische Funktion ist noch nicht abschließend geklärt.

Sicher ist aber: diese Schleimhaut kann, muss aber nicht beim Geschlechtsverkehr einreißen. Man kann ihr also nicht ansehen, ob eine Frau bereits Geschlechtsverkehr hatte – genauso wenig, wie man das einem Penis ansehen kann. Und wenn das erste Mal schmerzt und Blut fließt, liegt das nicht selten an inneren Verletzungen der Frau.

Dennoch gibt es Schönheitschirurgen, die mit „Hymenrekonstruktionen“ Profit aus der Angst schlagen, frau könnte in der Hochzeitsnacht nicht bluten. Sie nähen die Corona dann so eng, dass es beim Geschlechtsverkehr zu einer möglichst blutigen Verletzung kommt.

Was also tun? Vor allem aufklären – auf breiter Front! Die Begriffe „Jungfernhäutchen“ und „Defloration“ aus unserem Sprachgebrauch streichen. „Hymenrekonstruktionen“ verbieten – und Hilfsangebote für betroffene Frauen schaffen. Für all das setzt sich die Petition „Kein Bock auf Mythen“ von Jorinde Wiese ein. Dort findest du auch viele weitere wertvolle Quellen zum Thema.

Und mal abgesehen von den biologischen Tatsachen: wer bestimmt, wer Jungfrau ist und wer nicht? Warum sollte ausgerechnet der erste Geschlechtsverkehr ein so wichtiges Ereignis sein – und nicht z.B. der erste Kuss, Oralverkehr oder der erste Orgasmus? Und warum ist „Jungfräulichkeit“ von Mädchen immer noch vielen wichtig – bei Jungs dagegen ein Makel?

 

17. Sex ist sündhaft.

OK, zugegebenermaßen: wenn du meinen Blog liest, glaubst du das vermutlich nicht – zumindest nicht bewusst.

Doch nach Jahrtausenden der Unterdrückung der meisten sexuellen Ausdrucksformen schleppen wir alle noch Überbleibsel dieses Mythos mit uns herum. Und je nachdem, in welcher Familie, mit welcher Religion, in welcher Region und mit welchem Geschlecht du aufgewachsen bist, beherrscht dich dieser Mythos mehr oder weniger stark.

Findest du es z.B. OK, wenn

  • Menschen masturbieren?
  • unverheiratete Menschen Sex haben?
  • ein Mann mit 50 Frauen geschlafen hat?
  • eine Frau mit 50 Männern geschlafen hat?
  • 2 Frauen Sex haben?
  • 2 Männer Sex haben?
  • Mann und Frau Analsex haben?
  • Menschen Gruppensex haben?
  • Paare in Swingerclubs gehen?
  • Menschen das Spiel mit Kot erregend finden?

Die Chancen, dass sich bei einem oder mehreren Stichwörtern dein Magen zusammenzieht, Ekel oder Herablassung kurz aufflammen, sind hoch.

Ganz ehrlich: auch ich muss bei manchen Fetischen, von denen ich höre, erst mal tief durchatmen. Und auch ich bin kurz verunsichert, wenn Menschen unter meine Videos schreiben, dass es abartig und verdorben sei, was ich da erzähle, und ob ich denn kein „natürliches Schamgefühl“ besäße.

All das ist Ausdruck des Menschheitsmythos, dass Sex per se unmoralisch und allenfalls zur Fortpflanzung in der Ehe OK sei. Und alles andere unnatürlich und sündhaft. Diese Beschämung der Sexualität, v.a. der weiblichen, mag einmal wirtschaftlich sinnvoll gewesen sein. So konnte der Ehemann kontrollieren, wann die Frau schwanger wird und ob die Kinder von ihm stammen.

Glücklicherweise haben wir aber heute Zugang zu Verhütungsmitteln und können uns mit Kondomen und Lecktüchern auch vor Krankheiten schützen. Und auch auf die Frage, wer von wem und wie Kinder bekommt, sind die Antworten heute so vielfältig wie nie zuvor.

Statt unsere Lebendigkeit und unsere Sexualität zu unterdrücken, können wir sie also heute nach unseren eigenen Vorstellungen und Werten leben. Wir können lernen, unsere Wünsche, Fantasien und Vorlieben anzunehmen – und die anerzogene Scham immer mehr verlernen.

 

18. Für guten Sex muss ich aussehen wie ein Pornostar.

Ob Bauch, Hintern, Schenkel, Brüste oder Schamlippen: fast jede Frau ist unzufrieden mit ihrem Körper. In Youtube-Kommentaren berichten z.B. Frauen immer wieder, dass sie unzufrieden sind mit der Größe ihrer Schamlippen, in der Sexualtherapie erzählen mir auch die schönsten Frauen von ihren Problemen mit ihren Brüsten, Pos, Narben, etc.

Während wir schon seit Jahrzehnten mit Idealen bekleideter Models in Zeitschriften und Werbung konfrontiert wurden, messen wir uns heute nicht selten an Pornostars, von denen wir jederzeit jeden Körperwinkel betrachten können. Früher wussten z.B. die wenigsten, wie die Schamlippen anderer Frauen aussehen. Allerdings: diese Körper sind selten natürlich. Oft wird mit Brustvergrößerungen, Schamlippenverkleinerungen, jeder Menge Make-Up u.v.m. nachgeholfen.

Der Vergleich ist also darauf ausgelegt, dass wir verlieren und uns nicht gut genug fühlen. Und an diesem Gefühl verdienen dann Schönheitschirurgen, Diätprogramme, Kosmetikfirmen und Co. Milliarden. Und diese erfinden dafür auch ständig neue Trends: während vor 20 Jahren androgyne, schlanke Körper in waren, sind es heute ausladende, wohlgeformte Hintern. Während vor 20 Jahren künstliche Wimpern allenfalls ein Karnevalsaccessoire waren, eröffnen heute in Berlin an jeder Ecke Wimpernstudios.

Zudem soll frau nach diesen Idealen am besten für immer ihren 20-jährigen Körper behalten. Dass das nach jahrelangem Lachen oder Sorgenfalten, der auch auf Brüste wirkenden Schwerkraft, eventuellen Schwangerschaften, Stillzeiten und der Menopause selten möglich ist, leuchtet eigentlich jedem ein – und dennoch hält sich die Anti-Aging-Industrie und verkauft uns immer neue (meist völlig wirkungslose) Mittelchen.

Bei manchen Frauen führen die Schönheitsideale dazu, dass sie sich ihrem Partner gar nicht nackt zeigen können. Andere bedenken beim Sex, wie sie wohl gerade aussehen und verzichten lieber auf bestimmte Stellungen. Wieder Andere gehen das vermeintliche Risiko einer Beziehung oder sexuellen Begegnung lieber gar nicht erst ein. Und alle eint der nagende, manchmal unerträgliche Selbstzweifel.

Aber ist makellose, evtl. gar künstlich hergestellte Schönheit nun eine Voraussetzung für guten Sex?

Gott sei dank nein – denn sonst hätte fast niemand ein befriedigendes Sexleben.

Wenn du mal ins Schwimmbad oder die Sauna gehst, wirst du sehen, dass dort kein Körper 100% dem Schönheitsideal entspricht. Und dennoch gibt es viele wunderschöne Menschen. In allen Größen, Formen, Farben, jede*r mit seiner individuellen Ausstrahlung.

Doch den Bezug zu unserer individuellen Ausstrahlung, Sinnlichkeit, Körperlichkeit, verlieren wir Frauen oft schon in sehr jungen Jahren. Nämlich immer dann, wenn uns gesagt wird, dass Sex gefährlich oder schlecht ist, wir uns nicht anfassen sollen, wir uns anders anziehen sollen. Und an die Stelle eines gesunden eigenen Körperbildes treten dann die unerreichbaren Ideale.

Sex ist jedoch nicht nur eine Begegnung zweier Körper, sondern eine Begegnung zweier Menschen. Und gerade in festen Partnerschaften ist es deine individuelle Ausstrahlung, dein Mensch-Sein, das dich für deinen Partner attraktiv macht.

Das, was wir als körperlichen Makel an uns selbst wahrnehmen, fällt unseren Partnern oft nicht einmal auf. Und in den seltenen Fällen, in denen sie das wahrnehmen, finden sie es selten so schlimm wie wir selbst.

Vielleicht hilft es dir, das bei deiner nächsten sexuellen Begegnung im Hinterkopf zu behalten. Vielleicht möchtest du dich auch mit Solosex, oder begleitet durch Sexualtherapie und individuelle Übungen, wieder auf die Suche nach deinem ganz eigenen Körperbild machen.

Und vielleicht möchtest du in der Übergangszeit auch kleine Helferlein nutzen. Man muss z.B. nicht nackt sein beim Sex. Du kannst Kleidung tragen, mit der du dich in deinem Körper wohlfühlst. Seien es Korsagen, Negligés, Röcke, Dessous, Strümpfe: vielleicht willst du dir ein Sex-Wohlfühl-Outfit zusammenstellen?  Vielleicht hilft dir auch Kerzen-, statt Neonlicht, deinen Körper zu zeigen? Oder liebevolle Berührungen der noch nicht geliebten Stellen? Was auch immer es ist: suche und experimentiere gern, was sich für dich und deinen Körper gut anfühlt.

 

19. Beim Sex sollte ich v.a. meine*n Partner*in befriedigen.

Die meisten Sex-Ratgeber (Bücher, Videos, Artikel) fokussieren sich vor allem auf Eines: Wie werde ich der*die perfekte Liebhaber*in? Was sind die besten Blowjob/Cunnilingus-Techniken, welche Stellungen machen den Partner heiß, wie massiere ich richtig, wie bringe ich Frauen am besten zum Orgasmus?

Natürlich ist es gut, sich damit mal auseinander zu setzen– sonst hätten wir vielleicht alle noch so schlechten Sex wie beim ersten Mal. Manchmal artet das aber auch schon fast in eine Besessenheit aus. Manche Männer hoffen z.B., ihren Sex zu verbessern, indem sie endlich „den Mythos Frau“ entschlüsseln – und verlieren dabei ihre eigene Frau und deren Wünsche völlig aus den Augen. Auch Spontaneität, Verspieltheit & Verbundenheit bleiben auf der Strecke, wenn Sex zu einem optimierten, technischen Ablauf wird.

Frauen neigen zudem oft dazu, die Bedürfnisse des Partners erfüllen zu wollen, um sich als vollwertige Frau zu fühlen. Vor allem junge Frauen stellen ihre eigenen Bedürfnisse so weit hinten an, dass sie mitunter schon schmerzfreien Sex als guten Sex sehen. Ob wir das jahrtausendelanger Unterdrückung der weiblichen Sexualität, falschen Idealen aus Pornos oder einer perfiden Verschiebung weiblicher „Mütterlichkeit“ verdanken, sei dahingestellt. Sicher ist jedoch: da geht noch mehr.

Denn bei all diesem Streben nach Befriedigung des Anderen wird eines völlig übersehen: Niemand außer dir kann so gut wissen, was du dir wünschst und was dich befriedigt, wie du selbst. Du bist die Expertin für deinen Körper. Dein Partner kann allenfalls raten, deuten, durch Versuch und Irrtum lernen. Und weil das oft (für beide) anstrengend und frustrierend ist, werden die meisten dankbar sein, wenn du zeigen und erklären kannst, was du dir gerade wünschst.

Rausfinden kannst du das z.B. mit Solosex, indem du die Bedürfnisse deines Körpers besser hörst und verstehst (z.B. mit Hilfe der Solosex-Meditation, Sexualtherapie, Yoga etc.), mit Masturbationstipps oder Spielen mit deinem Partner.

Vermitteln kannst du das ganz nach euren Vorlieben: z.B. liebevoll (vielleicht auch ein bisschen verschämt, das geht den meisten so), mit Dirty Talk, zeigend und/oder erklärend, in Spielen, im Domina-Befehlston, etc.

Und: das soll natürlich kein Aufruf zum Ego-Sex sein. Weder extreme Partnerorientierung, noch extreme Fokussierung auf sich selbst führen auf Dauer zu erfüllendem Sex. Hier gilt es, eine gute Balance – oder ein gutes Pendeln – zu finden, das euch beide glücklich macht. Allerdings: um eine Balance zu finden, ist es oft erst mal hilfreich, sich mehr auf den noch unbekannten Pol zu konzentrieren, um auch das irgendwann so gut zu können wie die Partnerorientierung.

 

20. Nur Frauen täuschen den Orgasmus vor.

Zum Abschluss noch ein Mythos, der von meinem Lieblingsfilm „Harry und Sally“ inspiriert ist. Dort gibt es nämlich die berühmte Restaurantszene, in der Sally lautstark zeigt, wie gut sie den Orgasmus vortäuschen kann – um Harry zu beweisen, dass er den Unterschied nicht erkennen würde.

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Das ist im Film witzig – im echten Leben aber oft traurig. Denn Orgasmen werden vorgetäuscht, um dem Partner ein besseres Gefühl zu vermitteln, oder wenn man will, dass der Sex endlich aufhört.

Allerdings: in den Köpfen bedienen sich nur Frauen dieser Möglichkeit. Tatsächlich hat aber je nach Studie jeder 3. oder 4. Mann schon einmal einen Orgasmus vorgetäuscht. Die Gründe sind ähnlich zu denen der Frauen. Die Erektion könnte verloren gehen, der Sex sollte also schnell zu Ende gehen, er wollte die Partnerin nicht verletzen, oder war einfach müde.

Statt offen darüber zu sprechen, was tatsächlich los ist, was besser laufen könnte oder erregender wäre, flüchtet man sich in den vorgetäuschten Orgasmus – und nichts ändert sich. Und mit der Zeit wächst das Lügengerüst und es wird immer schwerer, die eigene Unzufriedenheit anzusprechen.

Was also tun? Am leichtesten ist es natürlich, in die Spirale gar nicht erst einzusteigen – und von Anfang an zu klären, dass mensch beim Sex nicht immer kommen muss. Und dann darüber zu sprechen, was dir gefällt und was nicht.

Nach jahrelangem Vortäuschen wird so ein Gespräch natürlich schwieriger – aber nicht unmöglich. Hierbei kommt es natürlich auf Feingefühl an. Auch eine professionelle Begleitung kann bei einem solchen Gespräch – und der anschließenden Verarbeitung und Suche nach neuen Möglichkeiten – helfen. In jedem Fall kannst du natürlich erstmal abwägen, welches Risiko schwerer wiegt: kurzfristig deinen Partner zu verletzen – oder weitere Jahrzehnte unbefriedigenden Sex über dich ergehen zu lassen?

P.S.: Ein weiterer Mythos, der durch die obige Szene (und viele andere Liebesfilme und Pornos) entstanden ist, ist dieser: Weibliche Orgasmen sind wild und laut. Das stimmt manchmal – doch Orgasmen unterscheiden sich von Frau zu Frau, von Tag zu Tag. Manchmal sind sie fein und subtil, manchmal wild und laut, oft irgendwo dazwischen – und keiner dieser Orgasmen ist besser oder „richtiger“ als der andere.

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